U.v.Beckerath
12 .Okt. 1956.
Lieber Herr Dr. Berger,
alle Welt, Regierung und Untertanen, ist der Meinung, dass die D-Mark ein geeignetes Wertmass fuer alle Geldverpflichtungen sei, auch fuer Renten. Was noch vor wenigen Jahrzehnten eine Selbstverstaendlichkeit war, an den Universitaeten den Studenten als erstes eingepraegt wurde, wenn sie Volkswirtschaftslehre hoerten, das ist heute vergessen, dass naemlich eine Vermehrung des Zwangskurs-Papiergeldes ueber den Betrag hinaus, den der Verkehr zu pari annehmen wuerde, wenn kein Zwangskurs bestaende, die Preise erhoeht.
Die aelteren Theoretiker wiesen auf das klassische Beispiel der franzoesischen Assignaten hin. "Preissuender" hatten nach Artikel IX des Gesetzes vom 21. Floreal des Jahres II de la Republique une et indivisible (10.Mai 1794) ihr Leben verwirkt, wenn sie in der Absicht handelten, durch ihre Preiserhoehungen den inneren oder den aeusseren Feind zu beguenstigen. 4 Wochen spaeter, am 22.Prairial, wurde ein Gesetz erlassen, wonach das Revolutionstribunal eine Verteidigung der Angeklagten nicht mehr anzuhoeren brauchte, sondern die Geschworenen "nach ihrem Gewissen" urteilten. Eine schon vor mehr als 100 Jahren vorgenommene Nachpruefung der Akten des Revolutionstribunals hat ergeben, dass die meisten Angeklagten "Preissuender" waren, meistens kleine Ladenbesitzer, von ihren Kundinnen denunziert, Bauern, Handwerker und oefters Waescherinnen, die fuer 150% des Lohnes von 1790 nicht waschen wollten oder konnten. (Art. VIII schrieb diesen Hoechst lohn vor.)
Und was half das alles? Ebensoviel wie die zahllosen Zuchthausstrafen in Deutschland waehrend der ersten Inflation, naemlich gar nichts. Gegen die Notenpresse und den von ihr geschaffenen, "schwarzen" Markt kommt nichts auf.
Stehen wir vor einer dritten Inflation oder sind wir vielleicht schon in den Anfaengen mitten drin? Urteilen Sie selbst:
Ich lege Ihnen hier bei eine Tabelle ueber die Entwicklung des Geldumlaufs bis 30.6.56. (Da betrug er 15,2 Milliarden. Inzwischen sind daraus 15,4 Milliarden geworden.
Die Erhoehung betrug:
von 30.6.1948 bis dahin 1949 rd. 90%,
49 50 = 17
50 51 = 5
51 52 = 21
52 53 = 12
53 54 = 7
54 55 = 11
55 56 = 10
durchschnittlich, von 1949 bis 1956 = 12 %.
Der letztere %-Satz ergibt sich aus: 7-te Wurzel aus 15193 : 6974 minus l.
Die Frage entsteht, wie ist es moeglich, dass bei einer solchen Zwangskurspapiergeldemission die Preise nicht noch viel mehr gestiegen sind?? Meiner Meinung nach hat die gewaltige Zunahme der Besteuerung bremsend gewirkt. Die "Steuerfundation" ist nicht viel anders als frueher. Rein monetaer betrachtet mag das zufriedenstellend sein, Volkswirtschaftlich betrachtet ist es abscheulich.
Das Urteil ueber die vorstehende Tabelle kann nur sein: Die D-Mark ist bereits inflationiert und ist daher als Wertmass nicht mehr zu gebrauchen, fuer Renten schon gar nicht.
Wir sprechen vielleicht mal darueber, welche Waehrung die D-Mark ersetzen koennte oder sollte.
(Anm.von J.Z., 25/5.83: Die Produktion stieg in der gleichen Zeit auch betraechtlich an. Um sie umzusetzen wurden mehr Zahlungsmittel noetig. Waeren diese Zahlungsmittel auf einer stabilen Waehrungsgrundlage ausgegeben wurden so waeren die Preise nicht nur etwa gleich geblieben, sondern gesunken. Das ist, neben der gesteigerten Steuerfundation ein weiterer wichtiger Faktor der eine dem Notenumlauf entsprechende Preissteigerung verhinderte. Ein weiterer war die zwangsweise Thesaurierung von Noten als "Reserven" der Banken bei der Zentralnotenbank, dann wahrscheinlich auch die Thesaurierung von DM-Noten bei fremden Notenbanken als "Devisendeckung" fuer ihre Papiergelder.)
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Die franzoesischen Revolutionsgesetze hat uebersetzt der Prof. Jastrow in seinem Band 4 der "Textbuecher zu Studien ueber Wirtschaft und Staat". Er hat auch eine Tabelle beigefuegt, aus welcher die Zunahme des Assignaten-Umlaufs von 1790 bis 1796 zu ersehen ist.
Die Tabelle lehrt allerlei. Der Umlauf stieg bis zu rd. 45 Milliarden Livres und der Realwert des Livre war i.J. 1796 auf rd. 1/3 % des Nominalwertes gesunken. Inzwischen waren aber den meisten Franzosen die Augen aufgegangen und sie hatten gelernt, Inflation von Teuerung zu unterscheiden. Es ergab sich, dass in Silber oder in Gold gerechnet die Preise gar nicht gestiegen waren. (Sind die Preise doch auch in Deutschland heute - - in Gold gerechnet - - nicht hoeher als 1933.) Die Wut auf die Assignatenpresse war so gross, dass die Regierung ihr Rechnung tragen musste. Am 19. Februar 1796 wurden auf dem Greveplatz die Assignaten-Druckplatten oeffentlich zerbrochen, und die Pressen wurden verbrannt. (Als in Deutschland der Realwert des Papiergeldes auf etwa 1/3 % gesunken war - - August 1922 - - da ging das Notendrucken erst richtig los. Etwa ein Jahr spaeter schlossen allerdings die Hamburger Arbeiter ihr Rathaus mit Barrikaden ein und forderten wertbestaendiges Geld. Der Buergermeister Petersen, ein Mordskerl, zog seine mittelalterliche Amtsrobe an mit der grossen Amtskette und ging ganz allein zu den Aufstaendischen auf die Barrikade, versprach noch am selben Tage bis 17 Uhr nachmittags wertbestaendiges Geld zu schaffen und ersuchte die Aufstaendischen sich im diese Zeit in den Lohnbueros einzufinden, um eine Abschlagszahlung zu empfangen. Der Buergermeister gruendete zusamnen mit ein paar grossen Finnen noch am gleichen Tage die Gold-Diskont-Bank von Hamburg, die Noten waren in ein paar Stunden gedruckt, und Hamburg hatte sich monetaer emanzipiert. Als am naechsten Tage der Reichsbankpraesident Luther nach Hamburg flog und den Einmarsch von Reichswehr in Aussicht stellte, da erklaerte ihm Petersen, dass 1500 Hamburger Polizisten bereit seien, ihre Waehrung zu verteidigen und noch viel fanatischer seien die Hamburger Arbeiter, die gestern noch auf der Barrikade standen. Luther redete dann noch einiges ueber Verhaftung, kriegte aber zu hoeren, dass wenn er noch viel meckerte, er vom Fleck weg verhaftet wuerde. Nun - - die Reichswehr war fern, die Hamburger Polizei in grosser Anzahl auf dem Platz vor dem Rathaus, und Petersen war der Mann Hamburgs. Luther schwirrte wieder ab und konzipierte das Gesetz ueber die Rentenmark.)
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Soll für alle Zeit und besonders fuer die Deutschen der Ausspruch des alten Hegel gelten: "Die Weltgeschichte lehrt nur eines, naemlich dass die Leute nichts aus ihr lernen"?????????????
Mit bestem Gruss
Ihr
U.v.Beckerath.
gez. Bth.
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First published in:
Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit;
Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467
(Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 3566-3567.